Evangelos Avramakis, Head of Cross Channel Management bei Helsana im Interview mit foryouandyourcustomers

Evangelos Avramakis, Head of Cross Channel Management bei Helsana im Interview

Seit den 90er Jahren gewinnt das Thema Digitalisierung bei Unternehmen mehr und mehr an Relevanz.

Evangelos Avramakis, Head of Cross Channel Management bei Helsana im Interview mit for​you​and​your​cus​tom​ers: „Die Service Experience ist desaströs: Dafür, dass das Gesundheitswesen so teuer ist, ist der Service sehr schlecht.“

Seit den 90er Jahren gewinnt das Thema Digitalisierung bei Unternehmen mehr und mehr an Relevanz und setzt Branchenriesen wie Banken und Versicherungen durch das Auftauchen neuer Konkurrenz verstärkt unter Druck. „Es besteht die Gefahr, dass neue Player durch das Anbieten neuer Touchpoints den Markt mittels günstiger digitaler Funktionen disruptieren“, beschreibt Evangelos Avramakis, Head of Cross Channel Management bei der Helsana-Gruppe die Entwicklung und sagt mit Blick auf seine Arbeit bei Helsana, der schweizweit größten Kranken- und Unfallversicherung: „Die digitalen Funktionen sind die Transformations-Herausforderungen in der Kundenbeziehung der Gegenwart.“

„Challenge, aber auch Zukunftschance“, beschreibt Evangelos Avramakis den Ist-Zustand innerhalb von Helsana. „Durch die Digitalisierung bieten sich neue Möglichkeiten unsere Kunden- und Servicepalette zu optimieren und die Experience mit Helsana zu verbessern. Deshalb müssen auch wir unser Geschäftsmodell überdenken und der digitalen Realität entsprechend anpassen.“ Ein Prozess der noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird: „Helsana ist wie ein großer Tanker: Wir haben bei den Versicherten einen enormen Trustfaktor, gleichzeitig sind wir im Bezug auf Omnichannel Management aber auch sehr schwerfällig.“ Im Interview mit Daniel Stadelmann und Patrick Schmitter von foryouandyourcustomers berichtet er, auf welche Schwierigkeiten und Widerstände er bei seiner Arbeit stößt, wie der Status quo innerhalb von Helsana ist und warum eine digitale Transformation dort schwer umzusetzen aber unumgänglich ist.

„50 Prozent der Geschäftsleitung sind mit dem Thema digitale Transformation komplett überfordert.“

Evangelos Avramakis, Head of Cross Channel Management bei Helsana

Daniel Stadelmann: Evangelos Avramakis. Sie gelten als Visionär im Bereich Omnichannel Management und digitale Transformation. Während eines Vortrages beim Detecon CRM-Expertenforum 2016 resümierten Sie mit Blick auf Helsana: „Governance, Struktur sowie Incentives sind kaum auf Omnichannel Management ausgelegt“. Für Sie als Head of Cross Channel Management muss das ein frustrierender Zustand sein?

Evangelos Avramakis: Ich nehme die Entwicklung und Bedeutung einer digitalen Transformation vermutlich anders wahr, als beispielsweise ein Geschäftsleiter oder ein CEO, aber ich kann unsere Situation bei Helsana gut einschätzen. Der Status quo ist, dass es für uns viel zu tun gibt, wir uns momentan noch in sehr kleinen Schritten Richtung Omnichannel Management und Digitalisierung bewegen, was strukturelle wie auch kulturelle Gründe hat. Momentan sind es eben noch diese kleinen Steps die wir machen, doch ich weiß: Das Thema wird auch in unserer Gruppe eine exponentielle Entwicklung nehmen.

Daniel Stadelmann: Sie sprachen die Helsana-Führungsetage an. Wo und wie stark ist das Thema digitale Tranformation in Ihrem Unternehmen verankert?

Evangelos Avramakis: Eine digitale Transformation setzt einen kulturellen Wandel, einen Paradigmenwechsel innerhalb des gesamten Unternehmens voraus. Die Organisation muss diesen Prozess nicht nur verstehen, sondern leben. Dazu benötigt es nicht allein die Mitarbeiter, – die häufig existenzielle Ängste vor der digitalen Konkurrenz im eigenen Haus haben –, sondern es benötigt vor allen Dingen auch das Bewusstsein und die Bereitschaft innerhalb der Betriebsführung als der treibenden Kraft in diesem Prozess.

Es ist aber so, dass gerade die Leadership-Thematik ein Problem darstellt. Zum einen sind Top-Manager Sharing Economy nicht gewohnt und zum anderen wurden sie noch nie mit der Komplexität einer digitalen Transformation konfrontiert und schrecken deshalb davor zurück. Das fundamentale Bewusstsein fehlt noch, für sie ist nur die anstehende strategische Periode so richtig greifbar. Zusammengefasst gesagt: Die Geschäftsleitung ist in der Summe einfach noch nicht bereit dafür.

Daniel Stadelmann: Worin begründet sich Ihrer Meinung nach diese Überforderung?

Evangelos Avramakis: Einer der Hauptgründe ist: Es fehlt die Adaptionsfähigkeit. Die Organisation an die sich wandelnden Umstände anzupassen, wird intern nicht als Ziel ausgegeben. Wir haben bei Helsana funktionale Ziele wie Verkauf, Service und Kundenzufriedenheit – ohne Frage wichtige Ziele – doch es fehlt eine End-to-End-Betrachtung: Eine Zielvorgabe aus der Erlebnisperspektive des Versicherten, das gibt es nicht. Es gibt per se keine Governance für den gesamten Prozess.

Ein weiterer Grund ist, dass man Mitarbeiter befähigen muss, die Transformation voranzutreiben. Die Veränderungsbereitschaft ist dabei Voraussetzung. Doch wie kann ich Mitarbeiter von einer Top-down-Eben befähigen, sodass jeder im Unternehmen diesen Weg mitgeht, wenn ich, Stand heute, selbst noch nicht sagen kann, was dieser Veränderungsprozess mit sich bringt? Neben der technologischen Herausforderungen stellt dieser kulturelle Aspekt eine weitere Challenge an die Geschäftsleitung. Das ist für viele wie eine Art höchste Überforderung.

Daniel Stadelmann: Wie agieren Sie gemeinsam mit Ihrem Digitalisierungs-Team innerhalb dieses Umfeldes?

Evangelos Avramakis: Ich glaube, man sollte nicht die gesamte Organisation mit Zukunftsthemen beschäftigen, das würde nur sehr zur Verunsicherung der Mitarbeiter beitragen. Wir agieren deshalb zweigleisig. Wir optimieren den Ist-Zustand, indem wir daran arbeiten, das Bestehende kundenorientierter zu gestalten. Gleichzeitig beginnen wir, Vorhandenes zu transformieren, indem wir uns als Erstes überlegen, was ist wie relevant für welche Kanäle.

In der Praxis ist es so, dass unser Kundenservice für die Customer Experience zuständig ist. Dadurch, dass der gesamte Prozess nicht End-to-End gemanagt wird, können die Mitarbeiter aber nur punktuell die Touchpoints mit dem Kunden verbessern. Wir arbeiten zum einen also an der Optimierung bestehender Dinge, beispielsweise Helsana Apps und gleichzeitig versuchen wir uns step by step mit Instrumenten, Methodiken etc. für die Transformation aufzustellen. Beides läuft also zeitgleich und aus der Leadership-Perspektive ist das enorm anstrengend. Denn die digitale Transformation ist, wie angesprochen, mit Unsicherheit verbunden und schwer zu steuern. Das benötigt Zeit. Wir sprechen hier von einem mehrjährigen Prozess.

„Eine digitale Transformation lässt sich nicht von heute auf Morgen umsetzen. Das ist ein lebenslanger Prozess“

Daniel Stadelmann: Was entgegnen Sie der Geschäftsleitung, die in einer Transformation keine Dringlichkeit sieht?

Evangelos Avramakis: Es sprechen zahlreiche makroökonomische wie auch versicherungstechnische Gründe dafür. Wenn die Gesundheitskosten im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt weiter ansteigen – das wird sonst geschehen –, dann hat das einen enormen Impact auf den Lifestyle der Versicherten. Noch sind diese Kosten von einem Großteil der Bevölkerung tragbar, aber das kann sich ändern. Und der zweite Grund betrifft uns direkt als Helsana. Wenn ich frühzeitig einen Diabetiker identifizieren kann und damit verhindere, dass dieser multimorbid wird, indem ich einen erfolgreichen Patientenbehandlungspfad sichere, dann ist das für mich auf emotionaler und auf Kostenseite ein Erfolg. Das ist mein Business Case.

Wir betrachten diesen Case bislang nur eindimensional. Wir denken an den Versicherten und da auch noch schlecht. Dabei dreht es sich nicht allein um dessen Customer Journey: Wir haben noch eine Arztjourney, eine Spitaljourney etc. – es gibt schon jetzt einige Stakeholderjounreys, Tendenz steigend, und das erhöht stetig die Komplexität unserer Arbeit.

Doch es gibt in der Schweiz niemanden, weder bei den Banken noch bei den Versicherungen, der richtige Standards setzt. Nehmen wir beispielsweise Oscar Insurance Corporation. Dabei dreht es sich um integrierte Services: Der Kunde muss sich um nichts kümmern, wenn er einen Arzt benötigt, eine Apotheke sucht etc. Das ist das Care-Thema und eine gelungene Service Experience. Wenn es diesen Anbieter bei uns gäbe, würden die Menschen erkennen, wie schlecht der Patientenbehandlungspfad hier orchestriert ist und der Druck auf die gesamte Gesundheitsbranche würde immens zunehmen – da bin ich mir sicher.

„Der Versicherte in der Schweiz befindet sich in einem Jungle und wird von Pontius zu Pilatus geschickt und die Service Experience ist desaströs. Dafür dass wir so teuer sind, ist der Service so schlecht.“

Daniel Stadelmann: Dabei ist es doch gerade der Healthcare-Bereich aus dem immer mehr und immer schneller Konkurrenz erwächst?

Evangelos Avramakis: Das stimmt. Nehmen wir als Beispiel fitbit. Noch wird diesem Anbieter kaum Beachtung geschenkt – man sieht darin keine Gefahr für das eigene Business. Bis fitbit irgendwann die Kundenbeziehung beherrscht. Dann wirst Du als Versicherung plötzlich irrelevant und bist für den Kunden nur noch Zahler. Im Prinzip ist das nichts anderes, als die gesamte Value Chain mit Daten komplett umzudrehen. Und ich warte darauf, dass das geschieht. Dann müssten wir uns nämlich fragen: Wollen wir eine Kasse sein, eine Versicherung oder ein Servicedienstleister. Schließen wir uns dieser digitalen Entwicklung nicht an, dann ist das für mich auf kurz oder lang der Abgrund für eine Versicherung.

„Am Ende geht es immer darum: Wer beherrscht die Kundenschnittstelle und die Kundenbeziehung und wie gestalten wir diese.“

Evangelos Avramakis, Head of Cross Channel Management bei Helsana

Daniel Stadelmann: Was ist der Mehrwert, den diese Anbieter generieren?

Evangelos Avramakis: Der liegt bei den Daten und der Intelligenz. Sie erhalten Daten und bieten basierend darauf Services. Wir bei Helsana machen ja eigentlich nichts anderes als Finanz- oder Datenengineering aus dem Kundennutzen generiert werden muss. Darum wäre unsere Ausgangslage eine sehr gute. Die Gesundheitsdaten, die wir verwalten, besitzt kein anderes Unternehmen und die werden sie auch niemals bekommen, weil bei uns mit der Abrechnung alle Fäden zusammenlaufen. Wir kennen die gesamten Zahlungsströme, können über jeden Versicherten sagen, bei welchem Arzt er war, welchen Zusatzservice er genutzt hat – wir beherrschen die Kundendaten, doch unser Manko ist: Wir machen zu wenig aus diesem Wissen. Das zu ändern, Relevanz zu erzeugen, Kundenmehrwert im Sinne von Experience zu schaffen, diese Denkweise gibt es bei uns noch nicht.

„Anbieter wie fitbit werden noch nicht als Gefahr wahrgenommen – bis sie die Kundenbeziehung beherrschen. Dann wirst Du als Versicherung irrelevant.“

Daniel Stadelmann: Die Datenmenge nimmt laufend zu und es werden auch laufend neue Daten generiert. Bedeutet das, Helsana sollte zukünftig vergleichbare Leistungen wie fitbit anbieten oder gar mit einem derartigen Anbieter zusammenarbeiten, um auch diese Daten des Kunden zu beherrschen?

Evangelos Avramakis: Es geht uns nicht um das Beherrschen von Daten. Nehmen wir das Thema Loyalisierung: Unser Ziel ist, dass der Versicherte von sich aus Daten mit uns teilt und von uns dafür einen Gegenwert erhält. Bewege Dich, geh zum richtigen Arzt etc. und Du bekommst von uns ein Feedback, einen Service geboten. Um diesen Gegenwert müssen wir uns kümmern.

Und dann gibt es das Thema Prävention: Verhalte Dich so, dass Du Dein persönliches Risiko minimierst. Nicht wegen uns, sondern wegen Dir. Das ist eine der Herausforderungen, vor der wir stehen. Einfach zu sagen: Hör mit dem Rauchen auf, dadurch erreicht man nichts. Wir müssen dem Betroffenen dabei Unterstützung bieten, ihn befähigen, es aufzugeben.

Eine andere Gruppe sind die chronisch Erkrankten. In deren Fall geht es darum, deren Situation nicht noch schlechter werden zu lassen. Sie benötigen Hilfe dabei, ein einigermaßen normales Leben zu führen. Zur Schaffung eines solchen Gegenwertes für den Versicherten müssen wir seine Daten einsetzen.

Daniel Stadelmann: Das Gesundheitssystem in der Schweiz wird als sehr komplex wahrgenommen. Es gibt viele verschiedene Player, mit vielen verschiedenen Interessen, die es noch undurchsichtiger gestalten. Wäre diese Form der digitalen Befähigung der Versicherten eine Möglichkeit ,Transparenz zu schaffen?

Evangelos Avramakis: Die Befähigung des Kunden ist ein Keykriterium und wir werden auf dieser Ebene zukünftig eine ganz neue Rolle spielen müssen. Wie bereits angesprochen: Was können wir dem Kunden bieten, damit er vieles alleine regeln kann und wo müssen wir ihn auf seinem Patientenweg beraten oder unterstützen? Diese Fragen gilt es zu beantworten. Bislang werden wir noch nicht als Dienstleister wahrgenommen und es ist für Helsana noch ein weiter, aber profitabler Weg.

Das allein genügt allerdings noch nicht. Denn das Versicherungswesen hat ein grundsätzliches Problem. So wie die Grundversicherung konzipiert ist, ist die Eigenregulierung nicht als Wert im Risikotransfer hinterlegt. Das führt dazu, dass Solidarität im Konsum endet. Unsere Grundversicherung hat so gesehen ein Konstruktproblem, was unsere Arbeit erschwert. Nicht dass der solidarische Ansatz falsch wäre, doch die Incentivierungssysteme sind darauf überhaupt nicht ausgerichtet.

Daniel Stadelmann: Wenn man davon ausgeht, dass der Regulator nicht schnell etwas an diesem Zustand ändern wird, was können Sie als Versicherung dagegen tun?

Evangelos Avramakis: Uns bietet die Zusatzversicherung zahlreiche Möglichkeiten. Man muss den Weg über die Zusatzversicherungen gehen und anschließend Druck auf die Grundversicherung ausüben. Unser Ziel ist, dass die Menschen nicht nur gut versichert sind, sondern eine hohe Lebensqualität zu vertretbaren Kosten erhalten – heute und auch in Zukunft.

Daniel Stadelmann: Wenn Sie völlig freien Hand bei Ihrer Arbeit hätten, was wären Ihre nächsten Schritte?

Evangelos Avramakis: Das Wichtigste ist: Ich würde mit Hochdruck daran arbeiten, die Organisation auf eine digitale Transformation auszurichten. Da würde ich richtig Druck aufsetzen. In einem weiteren Schritt würde ich mich mit einem Teil meines Teams darum kümmern, dass wir die entscheidenden Touchpoints zwischen Kunde und Helsana so gestalten, dass der Versicherte mit unserem Service zufrieden ist – Ich bezweifle, dass das aktuell der Fall ist. Und ich würde mit einem zweiten Team parallel dazu an neuen Experiences und Services arbeiten. Wie bereits gesagt: Wir haben eine sehr gute Ausgangslage, allein durch unsere Datenhoheit, doch wir müssen endlich damit beginnen, die Digitalisierung voranzutreiben.

Dr. Evangelos Avramakis

Head of Cross Channel Management Helsena

Dr. Evangelos Avramakis gilt als Visionär im Bereich digitale Tranformation. Seit mehreren Jahren ist der 46-Jährige bei Helsana tätig. Heute ist er als Head of Cross Channel Management verantwortlich für die Omnichannel-Aktivitäten der Gruppe. Helsana ist mit 1,9 Millionen Versicherten die führende Kranken- und Unfallversicherung der Schweiz. Für 50 000 Firmen und Verbände mit insgesamt 678 000 Versicherten entwickelt Helsana Versicherungslösungen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen krankheits- oder unfallbedingter Absenzen.

Mit Omnichannel wie Evangelos Avramakis sagt, beschäftigt sich der Familienvater und Harvard-Absolvent schon seit vielen Jahren. Derzeit arbeitet er daran, seine Visionen step by step in die Unternehmensgruppe mit mehr als 3200 Mitarbeitern und schweizweit über 22 Generalagenturen und 19 Verkaufsstellen einfließen zu lassen. Seine größte Herausforderungen besteht mittel- und langfristig darin, die digitale Transformation der Helsana- Gruppe erfolgreich zu organisieren und umzusetzen.

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